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Doña Maura bleibt

Ein kanadischer Gaskonzern will ihr Land, aber Doña Maura kämpft gegen die Vertreibung - so wie alle anderen hier vom Volk der Otomí.

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Als Doña Maura Aparicio Torres sich entschied, in den Kampf zu ziehen, hatte sie gerade den Mais ausgesät. An diesem Tag im Mai 2017 bemerkte sie einen Mann auf ihrem Grundstück, der durch ihr Maisfeld zum Haus ging, achtlos auf ihre Pflanzen trat, sich etwas auf seinen Block schrieb und ihr Land, ihr Haus, fotografierte. Derselbe Mann kam Tage später wieder und forderte die Papiere für ihr Grundstück. Seine Erklärung: „Wir werden hier eine Gaspipeline bauen.“

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Im Jahr 2015 erhielt das kanadische Unternehmen TransCanada den Zuschlag für den Bau einer mehr als 250 Kilometer langen Erdgasleitung durch den Süden des Landes bis zum Golf von Mexiko. Den Bau genehmigte die staatliche Energiebehörde. Die Gasleitung Tuxpan-Tula soll künftig Erdgas durch die vier Bundesstaaten Mexiko, Veracruz, Hidalgo und Puebla transportieren.

Die Route der Zerstörung

Die Pipeline Tuxpan-Tula erstreckt sich über eine Länge von mehr als 250 Kilometern. Auf der Hälfte der Strecke fehlt ein Stück von 90 Kilometern. Dort liegt Chila de Juárez, wo Doña Maura lebt.

Quelle: TransCanada

Ein Großteil der Pipeline ist schon fertig. 90 Kilometer fehlen. Eben jene, die durch das Dorf Chila de Juárez führen sollen, und durch das Feld, auf dem Doña Maura Mais und Erdnüsse anbaut. Die Gasleitung ist Teil der Energiereform, die unter Mexikos früherem Präsidenten Peña Nieto gestartet wurde.

Widerstand gegen den Staat

„Unsere Ernte ist das wertvollste was wir haben“, sagt Doña Maura vom Volk der Otomí. Die 47-Jährige ist in Chila de Juárez geboren. Dort in den Bergen lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern.

„Unsere Ernte ist das wertvollste was wir haben“

Das Haus gehört ihr. Einst hat sie es ihrer Schwiegermutter abgekauft. Die Entscheidung, sich gegen den Staat und das ausländische Unternehmen zu stellen, fiel schnell: „Ich weiß gar nicht wohin, wenn ich mein Land verliere“, sagt sie.

Heute ist sie Teil einer Protestbewegung, die von einem Regionalrat der Indigenen für Puebla und Hidalgo angeführt und beraten wird.  Man trifft sich, tauscht Informationen aus, klagt gemeinsam gegen TransCanada. Und vor allem müsse der Rat über die Machenschaften des Unternehmens aufklären, sagt Oliveria Montes, Sprecherin des Rats. Denn oft versprechen diese Unternehmen Geld, das sie später nicht zahlen. „Sobald einer in der Gemeinde sein Land verkauft, denkt der Nachbar er müsse auch verkaufen“, erklärt sie. Es herrscht Misstrauen.

Bau liegt auf Eis

Der Mann kam wieder. Doña Maura erinnert sich nicht genau daran, wie oft er ihr Grundstück betrat. Vielleicht acht oder zehn Mal? Auf jeden Fall bot er ihr Geld an. „Wie viel?“, fragte sie. Er legte sich nicht fest. „Wir werden dich umsiedeln“, sagte der Mann. „Wohin?“ „Gib mir die Papiere deines Grundstücks.“ „Nein“, sagte Doña Maura. „Ob ihr geht oder nicht, wir werden hier bauen“, erwiderte er und hinterließ seine Telefonnummer. Sie rief nie an.

Der Indigene Rat hat einen vorläufigen Stopp des Pipeline-Baus erreicht. Der Fall liegt jetzt vor Gericht. Das gilt nicht nur für Chila de Juárez, auch für vier weitere Gemeinden. Denn bevor ein solches Megaprojekt gebaut wird, muss das mexikanische Energieministerium prüfen, ob Nachteile für die Anwohner oder die Umwelt entstehen.

Die Gesichter des Widerstands

Das hat die Behörde getan, aber den entsprechenden Bericht womöglich beschönigt. Nur wenige Menschen müssten ihre Häuser verlassen. „In der Prüfung des Ministeriums war von gerade mal elf Gemeinden die Rede“, sagt Raymundo Espinoza Hernández, Anwalt des Indigenen Rats. Insgesamt würden in der Region aber 459 Gemeinden von dem Bau betroffen sein, rund 260.000  Menschen. Grund genug, um den Bau auf Eis zu legen.

„Wenn die Unternehmen nicht mit legalen Mitteln den Bau voran-treiben, werden sie Gewalt nutzen“

Auf Nachfrage verweist TransCanada auf das Tochterunternehmen  Transportadora de Gas Natural de la Huasteca (TGNH). Jene Firma, die den Mann auf Doña Mauras Maisfeld schickte. Die TGNH habe gemeinsam mit der mexikanischen Regierungsbehörde – zuständig für die Energiepolitik des Landes – den Kontakt zur Bevölkerung gesucht. Letztendlich sei es aber die Pflicht der Regierung, zu prüfen, ob gebaut werden dürfe oder nicht.  „TransCanada ist sich keinerlei Enteignung von Ländereien indigener Gemeinden bewusst und handelt nur, wenn die Gemeinden ihr Einverständnis gegeben haben“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Die Stimmung ist aufgeladen

TransCanada steht unter Druck: Die Firma will, dass Anfang 2019 das erste Erdgas durch die Leitung fließt. Der Widerstand hat die Kosten für den Bau von 297 Millionen US-Dollar um ein Drittel auf 397 Millionen US-Dollar steigen lassen. „Sie werden die Gemeinden gegeneinander ausspielen“, sagt Espinoza. Und: „Wenn die Unternehmen nicht mit legalen Mitteln den Bau vorantreiben, werden sie mit Gewalt in die Gemeinden eindringen“. Davor fürchtet sich Doña Maura: „Ich habe Angst, dass sie mich fertig machen werden.“ Denn in der Nachbargemeinde San Pablito schlichen sich Männer getarnt als Touristen oder Waldarbeiter ein. Geschickt von Bonatti, ein Subunternehmen von Transcanada. Sie sind als brutal verschrien, drohen und schüchtern ein. Die Stimmung ist aufgeheizt, auf beiden Seiten. Fast hätten die Dorfbewohner einen Bonatti-Mann gelyncht.

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Das Dorf Chila de Juárez stellt sich gegen TransCanada: "Sag nein zur Pipeline. Wir sind ein indigenes Volk. Wir fordern Respekt."

Auch das Dorf Chila de Juárez ist besonders wachsam geworden. Jeder Fremde wird beäugt und gefragt, wer er denn sei. Doña Maura hat jetzt keine Zeit, sich Sorgen zu machen. Sie muss sich um ihre Familie kümmern. Sie holt eine Schüssel mit frischen Maiskörnern, mahlt sie und formt daraus eine Masse. Dann gibt sie in kleinen Portionen Wasser dazu, knetet den Teig, formt eine kleine Kugel, legt sie zwischen eine Tortillapresse. Die fertigen Fladen kommen nun auf den Herd. Das ist Mauras Lieblingsarbeit.

Pipeline zerstört heilige Berge

Ihr Mann, Salvador Murcia Escalera, steht mit der Hacke zwischen den Erdnusspflanzen, die noch klein und zart sind. Früher arbeitete er 14 Jahre als Saisonarbeiter auf einer Romana-Salat-Plantage in Kalifornien, um Geld nach Hause zu bringen. 14 Jahre pendelte er hin und her. Als ihn seine Frau anrief, dass ihr Land in Gefahr sei, kehrte er sofort ganz zurück. Denn es ist nicht das Geld, was die Familie zum Überleben braucht: es sind Erdnüsse, Avocados, Mais, Bohnen, Radieschen, Schafe, Kühe und das Wasser, das auf dem Grundstück aus Quellen gluckert. „Das Land gibt uns alles“, sagt Doña Maura. Das will sie sich nicht wegnehmen lassen.

Sie möchte auch nicht, dass die heiligen Berge der Otomí für die Pipeline gesprengt werden, wie es in anderen Gemeinden schon passiert ist. Und noch weniger, dass Gas-Lecks das Wasser verseuchen.
Unternehmen wie TransCanada treiben Menschen aus ihren Häusern, um an Großprojekten zu verdienen. Und das ist kein Einzelfall in Mexiko.

"Ein Störfaktor für Investoren"
Ein Interview mit Anwalt Raymundo Espinoza Hernández. Er vertritt Opfer von Umweltzerstörung und Vertreibung.

Durch die Tuxpan-Tula-Erdgasleitung, die sich durch insgesamt vier mexikanische Bundestaaten ziehen soll, steht das Land vieler Indigener auf dem Spiel. Handelt es sich bei diesem Megaprojekt um einen Einzelfall?
Die gewaltsame Vertreibung ist eine ständige Bedrohung für die Indigenen und die Landbevölkerung in Mexiko. Denn genau in ihren Gebieten gibt es viele Rohstoffe, die noch nicht abgebaut werden. Beispiele für solche Enteignungen gibt es viele: eine Autobahn in Toluca-Naucalpan, ein Staudamm in Jalisco, der Neubau des Flughafens in Mexiko-Stadt oder der Raubbau in der Sierra Norte in Puebla mit vielen Minen.

Was tut die mexikanische Regierung, um die Betroffenen zu schützen?
Nichts – und zwar aus verschiedenen Gründen: Die Regierung ist Teil des Geschäfts. Die Behörden verhalten sich wie Manager, Handlanger oder gar Sprachrohr der Unternehmen. Sie bekommen oft viel Geld für Baugenehmigungen.
Die Bevölkerung zu schützen, ihnen Anwälte zu bezahlen oder einen Umsiedlungsplan zu erstellen, würde die Ausgaben für die ausländischen Firmen in die Höhe treiben. Die Firmen verlieren das Interesse daran, in Mexiko zu investieren.
Die Landbevölkerung und die indigenen Gemeinden sind ein Störfaktor für die Investoren. Deshalb wollen die Unternehmen sie kontrollieren, vertreiben und nahezu auslöschen. Jedes Mittel wird eingesetzt, egal ob legal oder illegal.

Haben solche Fälle zugenommen?
Ja, definitiv: Mexiko hat großes Interesse daran, ausländische Firmen ins Land zu holen – vor allem aus den USA und Kanada. Mexiko ist durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) wirtschaftlich von diesen Ländern abhängig und verteilt deswegen Land an internationale Großkonzerne.
Der Staat lässt zu, dass immer mehr Gemeinden aus wirtschaftlichen Interessen vertrieben werden. Die Situation hat sich zugespitzt. Aber immerhin ist heute das Bewusstsein um diese Enteignungen gestiegen. Wir fangen an, die Fälle genau zu betrachten und zu registrieren. Zuvor waren sie unsichtbar.

Nach einem Bericht aus dem Jahr 2017 der mexikanischen Menschenrechtskommission (CMDPDH) mussten im vergangenen Jahr rund 20.000 Menschen ihr Land verlassen. Gewaltsame Banden, der Staat oder sogenannte Entwicklungsprojekte wie Erdgasleitungen, Wasserkraftwerke und Staudämme sind der Grund dafür.

Doña Maura schaut auf den Berg, an den sich ihr Land schmiegt. Der Legende nach stieg einst ein junger Mann mit Namen Margarito bis zur Spitze. Oben angekommen, ließ er sich müde nieder, um nie mehr herabzusteigen. Die Otomí in Chila de Juárez verehren ihn heute als Regengott. Sie bringen ihm Schafe, Bohnen und Mais auf den Berg. Wie Margarito will Doña Maura hier niemals weggehen.

Vergrößern

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Doña Maura wünscht sich ein Zuhause, in dem sie wieder ruhig schlafen kann.

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